Warteraum Gottes

7. Oktober 2019

Mit 38, Anfang 2012 ging ein erster Ruck durch mein Leben, als ich zum ersten Mal realisierte, dass ich nicht das lebe, was ich leben wollte. Ich wollte Mutter sein, doch weit und breit kein eigenes Kind in Sicht. Meine Vorstellung war immer, ich bekomme mindestens 3 Kinder, bin Vollblutmami und aktiv mit anderen Mamis unterwegs. Da war ich also, 38 Jahre alt, gerade in einer neuen Beziehung mit einem Mann, der sterilisiert war.

Zum einen reflektierte ich die Frage, warum will ich Kinder und dann, ob ich es wirklich noch will. Es kam ein nein. Zum zweiten kam nun eine viel schwerwiegendere Frage auf, nämlich: was will ich denn nun von meinem Leben? Dass ich bis zu meiner Pension angestellt sein werde und einen Job mache, wie die meisten Menschen, war nie Teil meiner Vorstellung, eine andere konkrete Vorstellung hatte ich aber auch nicht. Oh SHIT, was mach ich denn nun? Was will ich eigentlich, wer bin ich überhaupt, was kann ich denn und wo soll es hingehen?

Ich hab dann einiges ausprobiert. Zum einen glaubte ich, es müsse was mit Kindern sein, also habe ich neben meinem Bürojob die Ausbildung zur Spielgruppenleiterin gemacht. Es war eher ein Selbstfindungstripp, als dass ich wirklich mit Kindern hätte arbeiten wollen, also abgehackt.

Mein Bürojob wurde enger. Ich setzte mich damit auseinander, was denn meine Stärken und Schwächen sind, was ich denn gerne tue, wo ich in den letzten Jahren beruflich echte Passion und Freude gelebt habe, und kam zum Schluss, ich will Direktionsassistentin sein. Also machte ich mich auf die Suche nach einer solchen Stelle. Ich hatte zwar die Ausbildung dazu 2003 bereits abgeschlossen aber leider auch seit fast dem Zeitpunkt nicht mehr in einer solchen Position gearbeitet. Keine Ahnung, ob es daran lag, jedenfalls kam einfach kein solcher Job in mein Leben.

Dafür trat 2013 ein spezieller Mensch in mein Leben, der von einer wunderschönen Vision erzählte, die sofort in Resonanz ging bei mir. Er träumte von einem Ort, wo jeder Mensch mit seinem ganzen Sein einfach sein darf, ankommen, ausruhen, sich Gutes tun. Es war eine Art Wellnessoase mit Sauna aber auch mit Klängen, Düften und Farben. Und es sollte ein Ort sein, wo sich Menschen vernetzten und zusammen tun, um nicht mehr alleine zu arbeiten. Da ich Saune liebte und bereits seit Anfang 20 regelmässig in Saunas ging oder mir auch mal eine Massage gönnte, war ich voll begeistert. Wir wurden ein Paar und schraubten unsere Arbeitspensen herunter auf 80% und eröffneten 2014 unseren "Raum für Begegnungen". Es war ein Anfang!

Ich merkte bald, dass ich damit überfordert war und mir einige Fähigkeiten fehlten, um Menschen zusammen zu bringen und wirklich achtsam und wohlwollend zu führen. 2015 schlossen wir den Raum wieder, nachdem ich mich von ihm trennte, weil mir Struktur, Regeln, Disziplin und die Auseinandersetzung mit dem Schatten fehlten. Es war mir zu viel Kuschelmuschel, wir haben uns alle lieb und alles ist schön.

Ich hing noch einige Zeit an der Vision und versuchte, sie alleine weiter zu tragen, doch ich fühlte mich hilflos, alleine und mein Job wurde noch enger und forderte mich immer mehr heraus.

Gegen Ende 2015 dachte ich, um wirklich mit Menschen zu arbeiten, brauche ich eine Ausbildung und beschloss, eine Coaching Ausbildung zu machen. Als mein Arbeitgeber nicht bereit war, sich an den offiziellen und anerkannten Coaching Ausbildungen finanziell zu beteiligen, schaute ich mich nach einer um, die wirklich zu mir passte und fand beim Coach Veit Lindau die Menschenlehrer Ausbildung, die 2017 starten wird.

Zwischenzeitlich wurde mir mein Job als Sachbearbeiterin so eng, dass ich ihn Anfang 2016 kündigte, kurz bevor ich zusammen brach. Gleichzeitig kündigte ich meine übergrosse Wohnung, verkaufte oder verschenkte fast alles, ausser Persönliches und zog bei meinem Freund ein, mit dem Vorsatz, dass ich sowieso nie mehr alleine wohnen werde. Ich war damals überzeugt, dass wenn ich wirklich Zeit für mich habe, der ganze Stress vom Job weg ist, ich wieder mehr Energie habe und wirklich Zeit und Muse für Bewerbungen, dass ich bald einen passenden Job finden werde. Ich war auch überzeugt, dass ich mit der zukünftigen Ausbildung zum Integralen Life Coach, meine Chancen noch verbessere und Ende 2016 fing ich dann auch noch eine Massage Ausbildung an, die ich Anfang 2017 abschloss und damit könnte ich ja auch noch Geld verdienen.

Mit dem Beginn der Coaching Ausbildung 2017 fingen dann meine Visionen wieder an zu leben und ich bastelte Visionboards von meiner eigenen Praxis, suchte Menschen, die sich eine Praxisgemeinschaft vorstellen könnten, begab mich in Gruppen, wo ich dachte, da könnte was tolles entstehen, nahm vom Arbeitsamt Coachings für mich in Anspruch, nahm an einem Seminar teil, wo ich einen Businessplan schrieb, suchte weiter einen Job als Direktionsassistentin oder auch Projektassistentin, konkretisierte meine Suche, fing an, in anderen Bereichen zu suchen, damit ich überhaupt was arbeiten könnte, engagierte mich sozial und machte und tat und visualisierte. Ich pflegte meine Beziehungen, merkte immer mehr, wer ich bin und was ich kann und fühlte mich immer stärker und besser.

Rund um mich glaubte ich Menschen zu sehen, die ihre Vision leben oder leben wollten, die genau wussten, was sie wollten, was sie in diese Welt bringen konnten aber zum Teil nicht wussten, wie. Nur ich hatte keine klare Idee, was ich konkret tun wollte, wenn ich doch nur wüsste, was genau, dann weiss ich dann schon wie. Ideen und Luftschlösser waren da, ich erzählte auch immer wieder davon und war begeistert, doch nur für kurze Zeit. Bei Meditationen in die Zukunft, kam bei mir auch je länger je weniger wirklich was an. Ich fühlte mich je länger je verlorener und wusste immer weniger, was ich wirklich will. Und doch besann ich mich immer wieder auf die Direktionsassistentin. Da gab ich immer wieder Energie rein aber es schaute nichts heraus. Manchmal war ich so fest überzeugt, diese Stelle ist es jetzt und genau da bekam ich die schnellsten Absagen, innerhalb von Minuten oder wenigen Stunden. Ich verstand die Welt oft nicht mehr und überprüfte ständig, ob das was ich will mit dem übereinstimmt, was ich kann. Ich korrigierte, verbesserte, passte an.

Der stärkste Halt in dieser Zeit war für mich die Menschenlehrer Ausbildung. Dieser Ausbildung gab ich mich hin und versuchte das Gehörte in meinem Alltag umzusetzen und zu erfahren, oder stellte oft auch fest, dass ich es bereits lebe. Bei jedem Modul gewann ich mehr Kraft, die Themen faszinierten mich, das Zusammensein mit so vielen Menschen trug mich, die Auseinandersetzung mit der Welt und anderen Menschen, und nicht nur mit mir, fand ich bereichernd und ich bekam das Gefühl, immer mehr zu wissen, wer ich bin. Ich stellte aber auch immer wieder schmerzlich fest, wo ich noch schlafe, wo ich mich in diesem Leben verpisse und wählte, so bewusst wie möglich, wo ich das so lasse und wo ich es ändern will. Ich habe alte Wunden aus der Kindheit nochmals tiefer angeschaut und wieder ein Stückchen geheilt. Ich habe meinen Vater in Frieden verabschiedet und Frieden mit meiner Mutter geschlossen. Aber vor allem habe ich mit meinen ungeliebten Anteilen immer mehr Frieden geschlossen.

Und dann trat das ein, was ich mir NIE NIE NIE hätte vorstellen können, bzw. ich war so überzeugt, dass es mir nicht passieren würde. Ich musste 2018 zum Sozialamt. Es war demütigend, ich schämte mich.

Zum Glück kam ziemlich rasch ein temporärer Bürojob, so dass ich wieder weg kam. Ich war zuversichtlich, durch diesen temporären Einsatz wieder mehr Chancen zu haben. Doch danach kam wieder nichts und ich durfte Anfang 2019 wieder zum Sozialamt. Diesmal ging ich anders hin und es war nicht mehr demütigend. Ich spürte echte Unterstützung. Ich merkte aber auch, dass ich mich dem hingab. Ich meine, es führte einfach kein Weg daran vorbei, ich konnte mich nun dagegen wehren oder es einfach akzeptieren. Ich akzeptierte es, ich war auch echt müde vom Kämpfen, vom Tun, vom Wiederstand.

Zu dem Zeitpunkt kam dann mein Partner wieder mit der Frage, ob ich mir vorstellen könnte, an der Supermarktkasse zu arbeiten, er kenne den Filialleiter von unserem Einkaufsladen persönlich. Poah… also so wirklich vorstellen konnte ich mir das nicht. In mir kam die Angst hoch, wieder an dem Punkt zu landen, wo ich 2016 war, wo ich den stressigen Job gekündigt hatte. Und doch gab es eine Stimme in mir, die es irgendwie für möglich hielt. Also liess ich mich darauf ein und arbeite nun seit Mai 2019 da und bin zum Glück wieder unabhängig. Bis vor kurzem hatte ich mit dem Job noch Probleme, weil es ist wirklich verdammt herausfordernd, ein aggressives, lautes, schnelles und wenig wertschätzendes Umfeld und mein Tinnitus ist seitdem wieder da und geht nicht mehr weg aber ich komme immer besser damit klar und kann gerade so viel über mich, über andere und von anderen lernen UND ich kann dienen.

Meine Beziehung war übrigens längst keine Bereicherung, keine Inspiration mehr aber durch meine Situation hatte ich nicht den Mut, sie zu beenden. Anfang April 2019 hielt ich es nicht mehr aus und habe sie trotz schlechten Zukunftsaussichten beendet. Ich betete zum Himmel, dass sich eine Lösung finden würde. 6 Monate hat es gedauert. 6 Monate, wo ich nochmals so richtig durch tiefe Täler geschritten bin, viel reflektiert, gelöst, geheult, gelitten, Wut gelebt, hingestanden, wieder aufgerappelt und weiter gegangen bin.

Nun sitze ich in meiner gemieteten Wohnung, obwohl ich doch nie mehr alleine wohnen wollte, dafür kann ich meine Sachen aufstellen und hinhängen und es mir gemütlich machen, wie es mir gefällt bzw. heraus finden, was mir denn wirklich gefällt.
Ich habe einen Job, der mir Tinnitus schenkt, mich heraus fordert, mich über Wasser hält und unabhängig macht und mich einiges lehrt in Bezug auf Wertschätzung und Dienen.
Und ich habe einen Menschen kennen gelernt, der mein Herz ganz tief berührt und der wie ich, die Sauna liebt, gerne Menschen zusammen bringt, gemeinsam was unternimmt, aktiv am Leben teil nimmt.

Nun sitze ich also hier, gerade keine Ahnung, wohin es gehen soll und was ich wirklich will. Ich sitze im Warteraum Gottes, lasse alles WOLLEN und SOLLEN los, folge der Freude, gebe mich dem Leben hin, diene und warte, bis mein Name aufgerufen wird.

DANKE dir von Herzen fürs Lesen!!!
DANKE Leben, dass ich hier sein darf, da wo ich gerade bin!

HerzLicht
Monia ॐ