Zwischen Angst & Verständnis: Ein Appell für Menschlichkeit & Differenzierung

Zuwanderung, Fachkräftemangel, Vorurteile & die Verantwortung

Wer hat nicht bemerkt, dass die Diskussion über Zuwanderung und Migration in Europa in den letzten Jahren intensiver geworden ist? Vor allem im Kontext des Fachkräftemangels wird immer wieder betont, dass Zuwanderung notwendig sei, um die wirtschaftliche Stabilität und das Wachstum zu sichern. In Kommentarspalten unter solchen Beiträgen finden sich häufig erschreckende und undifferenzierte Meinungen: Zuwander:innen seien keine Fachkräfte, sie seien „Schmarotzer:innen“, und Migration würde das Land destabilisieren. Diese Ansichten sind nicht nur falsch, sondern auch respektlos und zeigen ein folgeschweres Unverständnis für die komplexen Zusammenhänge, die hinter Zuwanderung und Migration stehen. 

Zuwanderung & Fachkräftemangel: Eine Notwendigkeit

Es ist unbestreitbar, dass viele europäische Länder, darunter auch die Schweiz, mit einem akuten Fachkräftemangel konfrontiert sind. Die demografische Entwicklung, die Alterung der Gesellschaft und der Rückgang der Geburtenraten führen dazu, dass immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Unternehmen suchen händeringend nach qualifizierten Mitarbeitenden, besonders in den Bereichen Technik, IT, Pflege, Gastronomie und Handwerk.

Hier kommt die Zuwanderung ins Spiel. Zuwanderung ist kein neues Phänomen und hat in der Vergangenheit bereits viele Länder wirtschaftlich gestärkt. Indem qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland geholt werden, können Lücken in den heimischen Arbeitsmärkten geschlossen werden. Dies ist kein Akt der Grosszügigkeit, sondern eine Notwendigkeit, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Zuwanderung alleine wird es aber nicht richten, es ist nur ein Puzzlestück, worüber wir sachlich und faktenbezogen reden müssen. 

Vorurteile & Diskriminierung: Eine verzerrte Wahrnehmung

Leider wird Zuwanderung von vielen Menschen immer noch negativ gesehen. Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass die meisten Zuwander:innen keine Fachkräfte seien, sondern lediglich Sozialleistungen ausnutzen würden. Diese Sichtweise ist nicht nur falsch, sondern auch zutiefst verletzend. Studien zeigen, dass viele Zuwander:innen durchaus qualifiziert sind und einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten – sei es durch ihre Arbeit, ihre Steuern oder ihre kulturelle Bereicherung.

Die Realität ist, dass nicht jede:r Zuwander:in als hochqualifizierte Fachkraft einwandert. Doch das bedeutet nicht, dass sie weniger wert sind oder keinen Beitrag leisten. Viele Migrant:innen, die vielleicht anfangs einfache Jobs annehmen, arbeiten hart und streben nach einem besseren Leben. Sie lernen die Sprache, bilden sich weiter und tragen letztendlich zur Gesellschaft bei. Menschen pauschal als „Schmarotzer:innen“ abzustempeln, ist nicht nur ignorant, sondern auch gefährlich. Es fördert eine Kultur der Ausgrenzung und des Hasses, statt sich auf die Lösung der Herausforderungen zu konzentrieren. 

Migration & die Verantwortung

Viele Menschen migrieren nach Europa aufgrund komplexer Ursachen wie Kolonialismus, Ausbeutung und struktureller Ungerechtigkeit, die durch den globalen Norden mitverursacht wurden. Zusätzlich treiben aktuelle Krisen wie Kriege, wirtschaftliche Instabilität, Umweltveränderungen und politische Unterdrückung diese Migration voran. Diese Menschen fliehen nicht freiwillig, sondern weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden. Der globale Norden trägt durch historische und gegenwärtige Handlungen Verantwortung für diese Situation, die bei Diskussionen über Migration berücksichtigt werden muss. Leider blenden das ganz viele aus oder sind sich dieser Zusammenhänge nicht mal bewusst.

Ein Appell für mehr Menschlichkeit & Verständnis

Was mir in den Kommentarspalten vieler Online-Beiträge fehlt, ist Empathie. Statt pauschal zu verurteilen und zu stigmatisieren, sollten wir uns die Zeit nehmen, die Geschichten und Hintergründe der Menschen zu verstehen, die zu uns kommen. Es geht nicht nur darum, ob jemand als Fachkraft zählt oder nicht – es geht um Menschenleben, um Menschenrechte und um die gemeinsame Verantwortung, die wir als Gemeinschaft tragen.

Migration und Zuwanderung sind komplexe Themen, die differenzierte und respektvolle Diskussionen erfordern. Einfache Antworten und Vorurteile führen zu keiner Lösung, sondern nur zu mehr Spaltung und Leid. Es liegt an uns allen, den Dialog mit mehr Menschlichkeit und Verständnis zu führen – für die Zuwander:innen, für die Migrant:innen und für eine gerechtere Welt – ohne die Augen vor den Problemen, die es durchaus auch gibt, zu verschliessen.

Und ja, ich verstehe auch die Angst, gerade als Frau. Auch ich habe Angst, doch sie geht nicht weg, wenn ich sie auf andere Menschen projiziere. Sie mindert sich, wenn ich in den Dialog gehe, zuhöre und versuche zu verstehen, wer mein Gegenüber ist. Sie mindert sich, wenn ich mit diesen Menschen im Austausch bin und ihnen die Möglichkeit gebe, auch mich zu verstehen. Sie mindert sich auch, wenn ich sie einfach fühle und nicht weiss, was ich gerade dagegen tun kann. Ich darf Angst haben und ich muss darüber sprechen - aber ohne Verurteilung anderer Menschen - denn die können nichts für meine Angst!

Wir müssen lernen, mit der Komplexität umzugehen - es wird nicht mehr einfacher